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„Wir leben hier nicht in einem Polizeistaat!” – Paul Köllensperger im Interview mit salto.bz
Paul Köllensperger über die Immuni-App, über die vielen Fragezeichen zur Datenhandhabe, die Kontrolle durch die Regierung, die Geschäftemacherei mit der Angst, das „Schutzschild“ der Corona-Virus Krise und Chomskys Frosch im Siedewasser.
Die Immuni-App steht im Kreuzfeuer der Kritik. Es handelt sich um eine Software, durch die Kontakte nachverfolgt werden sollen, die eine Covid-19 positiv getestete Person hatte. Mit ihr will man potentiell neu drohende Infektionen in der sogenannten Phase 2 vermeiden. Diese von der Firma Bending Spoon entwickelte Applikation sollte sich zwecks brauchbarer Ergebnisse 60% der Bevölkerung herunterladen – der Download soll freiwillig sein, so beteuert die Regierung – unklar bleibt jedoch, wie die App funktioniert. Auf dem Seziertisch der öffentlichen Debatte liegt vor allem der Faktor des Rechts der Privatsphäre. Dieses hängt stark davon ab, wie und wo die so gesammelten Daten zum Contact tracing gespeichert werden. Das Problem – sagt Paul Köllensperger, Vorsitzender des Team K und seines Zeichens Informatikexperte – sind die Methoden, an deren Einführung jetzt die Regierung arbeitet, die „eher an einen Polizeistaat erinnern als an eine liberale Demokratie wie die unsere.“
salto.bz: Herr Abgeordneter Köllensperger, Sie werden sich also diese App nicht auf Ihr Smartphone laden?
Paul Köllensperger: Nein, denn bis heute weiß man viel zu wenig, wie diese App überhaupt funktioniert. Diesbezüglich muss man sagen, dass sich die Regierung auf Marketing-Ebene sehr gut ins Zeug gelegt hat, was man aber von der Transparenz-Ebene nicht annähernd behaupten kann. Ich sehe nicht ein, weshalb ich auf ein gutes Stück meiner Privatsphäre verzichten soll angesichts von Methoden, die man eher bei einem Polizeistaat als einer liberalen Demokratie wie der unseren vermutet.
Konnten Sie die Beteuerung der Regierung nicht überzeugen?
Mit „Alles wird gut!“ Ansagen von Ministerpräsident Conte und seines Kommissars für Covid-19 Arcuri lass ich mich nicht abspeisen. Als Allererstes müssen sie den Quellcode veröffentlichen. Dann kann nachvollzogen werden, was diese App alles im Detail macht, ob sie georeferenziert ist oder nicht, wohin die Daten geschickt werden und so weiter. Bis jetzt hören wir alles wohlklingende Worte, denen man nicht immer vertrauen sollte. In dieser Notsituation finden Eingriffe in unsere von der Verfassung geschützten Rechte statt, die vor kurzem noch völlig undenkbar waren. Dann dürfen wir uns nicht wundern und darüber empören, wenn Regeln, die heute für diese App noch gelten mögen, vielleicht schon morgen oder in naher Zukunft „leicht“ geändert werden
Auf der Marketing-Ebene hat die Regierung sich sehr ins Zeug gelegt, was man auf der Transparenz-Ebene nicht behaupten kann.
Weil zum Beispiel die App irgendwann für alle obligatorisch werden könnte, damit sie brauchbare Ergebnisse liefert?
Da haben wir es bereits. Ich hege starke Zweifel, was den freiwilligen Download betrifft; nicht einmal Singapur hat die von Italien erträumte 60 % Deckung in der Bevölkerung zusammen bekommen – und dort hat man sogar den Nachvollzug der Kontakte vollkommen automatisiert. Um so ein Ziel zu erreichen, kommt es entweder später zu einem zwangsweise Download oder es wird Anreize dafür geben, wie mehr Bewegungsfreiheit für all jene Bürger, die sich diese App aufs Handy laden.
Droht das Risiko, als Sündenbock abgestempelt zu werden, wer sich die App nicht herunterlädt so ähnlich wie in diesen Tagen die in Verruf geraten, die sich die Freiheit zum spazieren gehen oder den mehrmaligen Gang in den Supermarkt nicht haben nehmen lassen?
Heute noch zeigt der eine Nachbar den anderen an, wenn er mal vor die Tür zum Luft schnappen geht. Es braucht nicht viel für starken sozialen Druck von oben herab heraufbeschwört; es reicht oft etwas Schlitzohrigkeit und den Rest besorgt dann die Angst.
Und wenn es zu dieser Kontrolle durch die Regierung kommt – was dann?
Gegenwärtig sind die Menschen noch recht angsterfüllt und scheinen daher nahezu diese Maßnahmen mit Applaus zu begrüßen, ohne sich wirklich Gedanken über die möglichen Folgen zu machen.
Es braucht nicht viel für starken sozialen Druck von oben herab heraufbeschwört, es reicht oft etwas Schlitzohrigkeit, und den Rest besorgt dann die Angst
Einige meinen, viel unserer Privatsphäre sei schon lange ans Netz abgegeben worden: die Nutzer, denen es nichts ausmacht, persönliche Daten preiszugeben, um zum Beispiel an einem Online-Quiz teilzunehmen; aber sie sind dazu weit weniger bereit, dieselben Informationen an den Staat aus gesundheitlichen Gründen weiter zu geben.
Facebook-Online Spiele oder ähnliche Dinge, die den Zweck haben, Daten abzusaugen und persönliche Präferenzen abzugreifen, sollte man verbieten oder durch den Garant unseres Rechts auf Privatssphäre besser überwachen. Leider schweigt der sich hierüber aus. Klarerweise nutzen Google, Facebook et cetera unsere Daten; das darf aber keine Ausrede sein, damit man es dem Staat erlaubt, es ihnen gleich zu tun.
Aber kann die App als solche überhaupt etwas bewirken oder nicht?
Der Punkt ist der: jedem die Möglichkeit geben zu verstehen, ob er oder sie mit Corona-positiv getesteten Personen Kontakt hatte. Um das zu erfahren, braucht es Tests. Es ist sinnlos zu schwärmen, wie gut in Südkorea die App funktioniert hat, wenn es keine ausreichenden gesundheitlichen Tests gibt. Italien hat 2,5% seiner Bevölkerung bis heute getestet. In Südtirol sind die Zahlen im Vergleich ähnlich oder nur geringfügig anders, weil gerade mal 32 Tausend Tests durchgeführt worden sind – allerdings bei weniger als 16 Tausend Personen. Daher frage ich mich: angesichts so geringer Prozentsätze von durchgeführten Tests, wie wahrscheinlich wird mir diese App anzeigen können, wer sich mit dem Virus angesteckt hat, wenn wir nicht einmal den blassesten Schimmer haben, wer unter und um uns positiv ist und wer nicht? Die Software soll also die positiv getestete Person herausfischen, die sich unter den 2,5% befindet; und was ist mit den Personen, die sich im anderen Prozentsatz der 97,5% tummeln? Ich schliesse nicht aus, dass das angestrebte Ziel unter diesen Voraussetzungen ein anderes sein könnte.
Klarerweise nutzen Google, Facebook et cetera unsere Daten; das darf aber keine Ausrede sein, damit man es dem Staat erlaubt, es ihnen gleich zu tun.
Das bedeutet?
Daten von Personen zu haben bedeutet Macht über sie zu besitzen. Jede Regierung träumt davon, über eine Vielzahl von Daten die Kontrolle zu haben. Um es auf den Punkt zu bringen: es braucht eine glaubwürdige Strategie, wie auf möglichst breiter Basis die Bevölkerung getestet werden kann; gelingt das nicht, wird sich die App als komplett unnütz erweisen.
Wir waren in Quarantäne über eineinhalb Monate, die Kontakte aus dieser Zeit lassen sich auf fünf Fingern abzählen, beim Szenario eventueller weiterer positiv-getesteter Personen reicht ein Telefonanruf oder eine Email, um deren Kontakte zurück zu verfolgen. Es braucht also keine neuen Methoden zur Kontrolle, die unserer Verfassung widersprechen.
Also lieber als Geld verbrennen und Zeit zu verschwenden, um eine derartige App zu entwickeln, soll die Regierung endlich sich mehr ins Zeug legen, um ausreichend Testmaterial, Reagenzien und Schutzmaterial und Schutzausrüstungen für das Sanitätspersonal zu beschaffen.
Um die Polemik im Zaum zu halten, hat die Regierung bestätigt, dass das Parlament zwecks Einführung der Applikation zwingend eingebunden werden muss.
Das ist das Mindeste. Es wäre ein Skandal, wenn wieder mit einem Dekret des Ministerpräsidenten oder gar durch eine Verordnung des Zivilschutzes diese App aktiviert würde. Es braucht ein Gesetz und ich hoffe, dass im Parlament jemand soviel Hausverstand besitzt, mitsamt einigem technischen Verständnis, hier seine Bedenken anzubringen und sich dem zu verwehren. Es fehlen im Moment die kritischen Stimmen zu diesem Thema. Und dann gibt es noch eine weitere Frage, die endlich geklärt gehört: wo werden diese Daten verwaltet? Denn etwas ist ein dezentraler Modell-Ansatz, der das Recht auf Privatsphäre so weit als möglich schützen möchte; etwas anderes, wie es sich Google und Apple vorstellen und nochmal was anderes ist der zentrale Modell-Ansatz, denn wenn die Daten dann auf zentralen Servern landen, ist für den Inhaber seiner Daten jede Kontrolle verloren gegangen.
Es braucht eine glaubwürdige Strategie für Tests der Bevölkerung auf möglichst breiter Basis, denn anderenfalls ist die App komplett nutzlos.
Welche werden die Langzeit-Folgen der durch diese Technologien aufgezwungenen Veränderungen sein?
Das Risiko besteht, dass es morgen heisst: diese Kontrolle hat sich bewährt beim Corona-Virus, was hindert uns also daran, sie auch bei einer saisonalen Grippe zu verwenden? Oder bei durch terroristische Anschläge gezeichneten Krisen? Die Geschichte lehrt uns, dass einmal eingeführte Methoden, die der Regierung sehr bequem in den Kram passen und weniger den individuellen Freiheitsrechten kaum mehr verschwinden werden. Ich nehme das Beispiel des Froschs im Siedewasser von Noam Chomsky, ein Bild, das kürzlich der Rechtsanwalt Herr Canestrini kürzlich genau auf Salto verwendet hat. Nun, diese App sorgt für den langsam fortschreitenden Anstieg der Wassertemperatur im Kochtopf. Und der Frosch kriegt nichts mit bis es zu spät ist. Ich hoffe, den Menschen wird langsam klar, was hier vor sich geht, bevor auch sie im brühheißen Wasser völlig erlahmen.