Der Skandal um die Annullierung der Ausschreibung der Buskonzessionen, der mit der Veröffentlichung des Buches „Freunde im Edelweiss“ der breiten Öffentlichkeit bekannt wurde, und mit ihm die internen Zerwürfnisse in der SVP, hatte mit Ingemar Gatterer und Thomas Widmann zwei große Verlierer: Ersterer verlor seine Vormachtstellung zugunsten der „landeseigenen“ Sasa, letzterer musste von seinem Amt als Landesrat zurücktreten. „Ein Erdbeben“, kommentierte Paul Köllensperger am Rande der heutigen Diskussion der Ergebnisse des Untersuchungsausschusses im Landtag, „das aber medial und damit in der Öffentlichkeit die andere in diese Affäre involvierte Interessengruppe, die des Unternehmers Markus Silbernagl (Libus) nur minimal tangiert hat. Und die Rolle des Landeshauptmanns Kompatscher überhaupt nicht.”
Die Lektüre des Abschlussberichtes der Polizei, welcher den Mitgliedern der Untersuchungsausschusses zur Verfügung gestellt wurde, ist schockierend, aber nicht überraschend. Schockierend vor allem, weil er über die Telefonabhörungen es ermöglicht, einen Blick hinter die Kulissen des „Systems SVP“ zu werfen: Öffentliche Dienste als Objekt der Begierde privater Interessengruppen, mit der Politik in der Rolle des Vasallen privater Interessen.
“Der neue Landeshauptmann Kompatscher hat zwar die Akteure im öffentlichen Nahverkehr ausgetauscht, aber das System SVP selbst hat er beibehalten, und starke Seilschaften bestimmen weiterhin das Geschehen. So wie es früher lief, war es nicht tragbar, aber jetzt ist es nicht viel besser“, kommentiert Paul Köllensperger, eines der Mitglieder der Untersuchungskommission, bitter.
Sinnbildlich dafür ist das Schicksal zweier ähnlicher Anträge von Paul Köllensperger, die beide das System der privaten Konzessionen der SAD durch eine öffentliche Gesellschaft ersetzen wollten. Der erste Antrag aus dem Jahr 2017 wurde abgelehnt („man kann nicht einen Markt und ein privates Unternehmen [Anm.: die SAD zerstören“, so lautete damals die Begründung); der zweite Antrag aus dem Jahr 2019 hingegen wurde von der SVP mitunterzeichnet und mit breiter Mehrheit angenommen. Natürlich hat zu diesem Stimmungswechsel auch der vulkanische SAD-Chef Gatterer selbst mit seinem Verhalten beigetragen. Aber es ist offensichtlich, dass der politische Wind sich geändert hatte, und damit die Akteure im System.
Der „zusammenfassende Schlussbericht“ der Gerichtspolizei wirft Licht auf die Rolle des Landeshauptmanns LH Kompatscher, aber vor allem auf die des damaligen Leiters der Abteilung Mobilität des Landes Südtirol, Günther Burger (später zum Leiter der Abteilung Gesundheit, Breitband und Genossenschaften befördert und immer noch vor Gericht) und dessen Versuch, die Teilnahme der Libus-Konsortien von Präsident Silbernagl und KSM an der Ausschreibung für die Vergabe der öffentlichen Verkehrsdienste zu ermöglichen. Darüber werden nun die Gerichte befinden. An die langjährigen Beziehungen zwischen dem Landeshauptmann und dem Kastelruther Unternehmer sei in diesem Zusammenhang erinnert.
Aber in diesem Dokument findet man wirklich alles: Ad personam Gesetzgebung, bezahlt mit Hunderttausenden Euro – öffentliche Gelder – für Berater; eine Landesbeamtin, die buchstäblich im Dienste der SAD steht; ein angeblicher „Landesvater“ in der Rolle eines Lobbyisten; ein Südtirol in Geiselhaft einer Partei, die in einem Kampf zwischen Seilschaften zerrissen wird. Alles in allem eine erschreckende Lektüre, aber lehrreich für das Verständnis der Mechanismen im „System Südtirol“. Von den Worten Silbernagls an Burger (“non dimenticherà ciò che lui ha fatto per loro, perché è rimasto sempre fedele…”) bis zu denen der Landesbeamtin Karin Brenner („Sie brauchen nicht zu glauben, dass hier einer besser ist als der andere“) entsteht ein Schnappschuß des System SVP mit seiner Vermischung von Politik und Wirtschaft, und von einem Südtirol in dem statt Meritokratie politische Empfehlungsschreiben und Parteibücher den Ton angeben, denkbar schlechte Voraussetzungen um den Herausforderungen der Zukunft gewachsen zu sein. Denn es muss endlich wieder zählen, was man kann und nicht, wen man kennt.
Hier finden Sie den Minderheitenbericht der Untersuchungskommission zum ÖPNV und zur Annullierung der Ausschreibung der Busdienste.