In der Stadt Bozen ist die Luft verschmutzt. Die in Italien und in der EU geltenden gesetzlichen Grenzwerte für Stickoxide (NOx) werden überschritten. Die anderen Luftschadstoffe, insbesondere die PM10 und die PM2,5, liegen zwar unter den gesetzlichen Grenzwerten, bei den letzteren, die am gefährlichsten sind, ist der Grenzwert in Italien jedoch mehr als doppelt so hoch wie in den USA. Dort wären Luftverhältnisse wie in Bozen bei weitem gesetzwidrig. Nach den von der Weltgesundheitsorganisation empfohlenen, noch wesentlich niedrigeren Grenzwerten wäre die Situation als höchst besorgniserregend einzustufen.
Zu den gesundheitlichen Folgen zählen Entzündungskrankheiten, Degenerations- und Tumorerkrankungen zu Lasten lebenswichtiger Organe wie Lungen, Herz und Gehirn. Nicht zu vergessen sind Blutkrebserkrankungen, Immunschwächen, degenerative neurologische Erkrankungen sowie Fruchtbarkeitsminderung beim Mann – all diese Beschwerden sind mittlerweile in einer umfangreichen wissenschaftlichen Literatur mehrfach belegt. Ein weiteres beunruhigendes Phänomen wird von der Europäischen Umweltagentur aufgezeigt: Italienweit sterben jedes Jahr an die 80.000 Menschen frühzeitig an den Folgen der Luftverschmutzung – das sind 131 Todesfälle pro 100.000 Einwohner. Was die Situation hierzulande betrifft, heißt es auf Seite 15 der vom Land und vom Sanitätsbetrieb veröffentlichten Studie „Luftverschmutzung und Gesundheit – eine Fünfjahresbilanz in der Provinz Bozen“ wörtlich: „Bei den Auswertungen wurden ebenso mehrere Variablen berücksichtigt, die sich auf das direkte Verhältnis zwischen Luftverschmutzung und medizinischer Auswirkung niederschlagen, u. z. Alter, Temperatur, Feiertage, zeitlicher Trend, Grippeepidemien, relative Luftfeuchtigkeit, usw. Mit Bezug auf die Gesamtdaten der drei Gemeinden Bozen, Meran und Sterzing stellte sich heraus, dass auf die Erhöhung der Konzentration jeder einzelnen luftverschmutzenden Substanz (NO2, CO, PM10 und O3 – von Mai bis September) eine Zunahme der Todesfallrate folgt.“ In der Zwischenzeit hat sich die Situation mit der Zunahme des Straßenverkehrs sogar verschlechtert.
Was insbesondere die Stadt Bozen betrifft, referierte neulich ein Experte der Landesumweltagentur vor den Ratskommissionen für Umwelt und Mobilität. Im Folgenden die wichtigsten Punkte:
- 68 % der gesamten Stickoxide sind auf den Kfz-Verkehr zurückzuführen. Nur 11 % dieser Emissionen sind industrieller Herkunft. Genau derselbe Anteil wird überraschenderweise von den Wohnungsheizungen verursacht. Die restlichen 10 % sind Emissionen aus anderen Quellen.
- Von der durch den Kfz-Verkehr bedingten Luftverschmutzung sind 70 % auf den Stadtverkehr (Stadtbevölkerung + Pendler) und 30 % auf den Autobahnverkehr auf der A22 zurückzuführen – im S
- Der höchste Anteil an NOx ist den Dieselmotoren zuzuschreiben. 55 % der Pkw und 100 % der Lkw sind dieselbetrieben. tadtteil Oberau macht Letzterer allerdings knapp 40 % aus.
- Einige Bozner Straßen sind aufgrund ihrer Lage und ihrer baulichen Merkmale schlecht durchlüftet. Hier werden bis zum dritten Stockwerk hohe Emissionswerte gemessen. Dieses Phänomen ist als „Canyon-Effekt“ bekannt.
Weitere Daten, die zum Nachdenken anregen sollten, lieferte ein Forscher des Instituts für Sozialforschung und Demoskopie Apollis ebenfalls im Rahmen eines Referats vor der Ratskommission für Mobilität der Stadt Bozen:
- Die nach Beförderungsmitteln aufgeschlüsselte Erhebung des Mobilitätsverhaltens der Boznerinnen und Bozner zeigt, dass in der Stadt noch relativ wenig Auto gefahren wird (nur 32 Prozent der Wege werden mit dem Auto zurückgelegt), auch wenn im Vergleich zu den vergangenen Jahren eine leichte Zunahme zu verzeichnen ist
- Der Motorisierungsgrad (Anzahl der Pkw pro 100 Einwohner – Kinder, Senioren und Schwerbehinderte inbegriffen) in Bozen und Meran beträgt 57. Verglichen mit anderen europäischen Städten wie etwa Basel (35) und Copenhagen (23) ist dieser Wert extrem hoch. In Eppan liegt der Motorisierungsgrad bei 69, in Kaltern bei 71 und im Landesdurchschnitt bei 62.
- Aus dem Referat gingen noch zwei weitere, naheliegende Tatsachen hervor: Wer ein Auto besitzt, benutzt es auch. Die Anreize zum Umstieg auf eine sanfte Mobilität (zu Fuß gehen, Radfahren, Öffis) haben sich als unzureichend erwiesen.
Fazit: Die Verstärkung des öffentlichen Nahverkehrs (Zug, Straßenbahn, Bus, Seilbahnen usw.) ist eine dringende Priorität. Genauso wichtig wäre unserer Meinung nach die Verlegung der A22 unter die Erde mit dem Einsatz neuartiger elektrostatischer Abgasfilter. Bis zur Umsetzung dieser Vorhaben werden aber Jahre vergehen. Gegen den Gesundheitsnotstand muss aber rasch gehandelt werden. Ein sofortiger, konkreter Vorschlag wäre die Abschaffung der Autobahnmaut zwischen Bozen Nord und Bozen Süd in beiden Fahrtrichtungen. Auf diese Weise könnte der Durchzugsverkehr in Bozen beschleunigt und rationalisiert werden.
Natürlich stellt diese Lösung kein Allheilmittel dar, da sie nur eine begrenzte Anzahl an Autos betrifft. Sie hat jedoch den Vorteil, dass sie kurzfristig umgesetzt werden könnte und rasch zur Linderung des erwähnten Gesundheitsnotstandes beitragen würde. In Verbindung mit einer Senkung der Tempolimits im Bozner Abschnitt der Brennerautobahn und vor allem mit der Einführung eines Road-Pricing-Systems wäre diese Maßnahme ein konkreter Schritt für reinere Luft in Bozen.
Dies vorausgeschickt, verpflichtet der Südtiroler Landtag die Landesregierung: im Einvernehmen mit den zuständigen Behörden (Stadt Bozen, Brennerautobahn AG, Transportministerium) die Bedingungen für eine Einschränkung des Durchzugsverkehrs in Bozen zu schaffen, wobei als Erstmaßnahme der Bozner Abschnitt der Brennerautobahn A22 mautfrei befahrbar sein soll.