Nach den Vorstellungen der Stadt Bozen sollte die geplante Straßenbahn zwei verschiedenen Nutzergruppen dienen: den Pendlern, Schülern und Gästen, welche die Landeshauptstadt vom Überetsch aus schnell und bequem erreichen möchten, sowie den Boznern, die sich im Stadtgebiet von einem Ort zum anderen fortbewegen müssen. Beide Ziele zu erreichen, ist offensichtlich schwierig.
Im kürzlich veröffentlichten Plan zur nachhaltigen Mobilität der Stadt Bozen werden verschiedene Szenarien zum Thema Straßenbahn aufgezeigt, ohne dabei einen wirklich definitiven Streckenverlauf festzulegen. Die Variante einer Linienverbindung, die von Sigmundskron über das Krankenhaus entlang der Drususallee verläuft, am Hadrianplatz in die Italienallee abbiegt und dann weiter über die Freiheitsstraße und die Talferbrücke und schließlich durch die Altstadt bis zum Bahnhof führt, ist nach wie vor diejenige, die am ehesten in Frage kommt. Mit diesem Streckenverlauf wird versucht, allen Bedürfnissen gerecht zu werden: Zum einen soll das Überetsch mit der Landeshauptstadt verbunden werden, zum anderen soll das Krankenhaus als wichtiges Verkehrsziel angefahren werden, und schließlich soll eine neue Alternative zum Stadtbus angeboten werden.
Dabei wäre es wichtig, dieses äußerst komplexe Thema aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten: Das Hauptproblem für die Mobilität in der Landeshauptstadt ist, dass täglich rund 85.000 Fahrzeuge in die Stadt kommen, davon rund 23.000 aus dem Überetsch. Gleichzeitig zeigt die jüngste Modal-Split-Studie über das Mobilitätsverhalten der Boznerinnen und Bozner (Apollis, 2017), dass nur etwa zehn Prozent der Wege mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zurückgelegt werden. Dieser eher bescheidene Wert zeigt, dass die „Öffis“ für die Bozner nicht besonders attraktiv sind. Da das Stadtgebiet nicht allzu groß ist und über ein gutes Radwegenetz verfügt, sind sie lieber mit dem Rad (26 %) oder zu Fuß (29 %) unterwegs, was immerhin von einem gewissen Umweltbewusstsein zeugt.
In Anbetracht der Tatsache, dass der Pendelverkehr das dringendste Problem darstellt, wäre es also naheliegend, die Weiterführung der Straßenbahnlinie bis nach Kaltern als Priorität auf der politischen Agenda für Infrastrukturarbeiten zu setzen. Die Gemeinden Kaltern und Eppan bewegen sich bereits in diese Richtung und haben dem Schweizer Mobilitätsexperten Willy Hüsler eine erste Studie in Auftrag gegeben. Wie Hüsler selbst in den Schlussbemerkungen zu seiner Machbarkeitsstudie für die Bozner Straßenbahn (2018) betonte, wäre die Straßenbahnlinie 1 (verstanden als Teilstrecke zwischen dem Bahnhof Bozen und dem Bahnhof Sigmundskron) mit einer Weiterführung derselben in Richtung Überetsch vereinbar. Damit wird angedeutet, wie wichtig eine direkte Straßenbahnverbindung mit dem Überetsch wäre, um einen öffentlichen Personennahverkehr anzubieten, der im Gegensatz zum Metrobus in Bezug auf die Reisequalität wirklich komfortabel und somit attraktiv ist (mehr Platz und ein wesentlich besserer Komfort für die Fahrgäste, mehr Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit). Wir glauben, dass diese Lösung eine echte Alternative zur Nutzung des Privatautos für Personen aus dem Überetsch sowie einen Mehrwert für die Bozner Straßenbahnlinie darstellen würde. Ohne eine direkte Verbindung zu den Überetscher Gemeinden wäre es nicht sinnvoll, Millionen Euro zu investieren, um die Bozner Straßenbahnlinie nur bis Sigmundskron weiterzuführen, wo ohnehin fast niemand wohnt. In diesem Fall könnte die Endstation der Straßenbahn genauso gut am Stadtrand oder beim Krankenhaus angelegt werden, womit die Straßenbahn nur der Stadtbevölkerung dienen würde. Daher erscheint es sinnvoller, eine direkte und schnelle Straßenbahnverbindung anzubieten, anstatt einen riesigen Park-and-Ride-Parkplatz in Sigmungskron zu bauen, der die Pendler ohnehin nicht dazu animieren würde, ihr Auto dort abzustellen und auf die Straßenbahn umzusteigen. Wer heute mit dem Auto nach Bozen fährt, würde es also auch in Zukunft tun.
Dies vorausgeschickt verpflichtet der Südtiroler Landtag die Landesregierung,
- eine Straßenbahnlinie Kaltern – Sigmundskron, die an die im Plan zur nachhaltigen Mobilität der Stadt Bozen vorgesehene Straßenbahnlinie anschließt, in die Liste der vorrangigen Infrastrukturarbeiten für die Mobilität aufzunehmen und dieses Projekt innerhalb eines festgelegten Zeitrahmens umzusetzen;
- die Gemeinden Bozen, Eppan und Kaltern sowie die STA an einen Tisch zu bringen, um ein Konzept für eine umstiegsfreie Straßenbahnverbindung vom Bozner Stadtzentrum bis nach Kaltern, die das Bozner Straßenbahnprojekt abrunden soll, auszuarbeiten.