Die Bildungslandschaft Südtirols befindet sich im Wandel. Schulen und Kindergärten haben in den letzten Jahren aufgrund verschiedenster Faktoren schleichend ihre Öffnungszeiten und ihre Stundenpläne verändert. Kindergärten sperren früher zu, Schulen verlängern die Vormittage, um auf Nachmittagsunterricht verzichten zu können. Dies stellt Familien vor sehr große Herausforderung. Während ihre 0- bis 3-jährigen Kinder in Kinderhorten, Kindertagesstätten oder Tagesmüttern/- vätern über viele Stunden betreut werden, gibt es kaum Kindergärten mit verlängerten Öffnungszeiten und Schulkinder kommen sogar meist schon mittags nach Hause. Dadurch ist die Organisation der Familie sehr komplex. Eltern können nicht wiederholt ihre Arbeitszeiten an die Schulzeiten der Kinder anpassen. Ebenso gibt es wenig Planungssicherheit, da vor allem in den Kindergärten im Juni noch nicht eine verlängerte Öffnungszeit für September garantiert werden kann.
Die Familienstudie 2016 des ASTAT legt dar, dass Familien vor allem in den langen Sommerferien und an schulfreien Tagen, aber genauso beim Transport, an Nachmittagen, mittags oder am Morgen Schwierigkeiten haben, ihre Kinderbetreuung zu organisieren.
Die Gleichstellungsrätin wies auf einer Pressekonferenz am 29.05. darauf hin, dass allein im Jahr 2018 fast 1.000 Mütter von 0- bis 3-Jährigen in Südtirol ihren Arbeitsplatz aufgegeben haben und Teilzeitarbeit zu 70 % weiblich besetzt ist. Dies geht natürlich auch zu Lasten ihrer Rente, da Frauen nicht nur in Hausarbeit und Kinderbetreuung, sondern auch in der häuslichen Pflege die Hauptrolle spielen. Allen Familien sollte die Möglichkeit angeboten werden, sich frei zwischen den bevorzugten Betreuungsmodellen, ob zu Hause oder fremdbetreut, zu entscheiden.
Kinder brauchen eine Betreuungskontinuität. Es ist paradox, dass Kinder mit höherem Alter wenigere Stunden außer Haus zugemutet werden können, als Kleinkindern. Natürlich haben Schulkinder Hausaufgaben zu erledigen, dies kann aber auch im schulischen Kontext, in offenen Ganztagsangeboten oder außerschulischen Betreuungen nach dem curricularen Unterricht stattfinden. Vor allem im ländlichen Raum haben Eltern kaum die Möglichkeit, auf Betreuungsangebote am Nachmittag oder einen täglichen Mensadienst zurückzugreifen. Es gibt viele Modelle von Betreuungsangeboten, schulisch wie außerschulisch, die den verschiedenen Bedürfnissen Rechnung tragen können. In den Ferien besuchen Kinder häufig verschiedene Projekte, das Angebot in Südtirol ist hier sehr breit gefächert und wirklich umfassend. Jedoch mangelt es auch hier an Betreuungskontinuität, Kinder nehmen im Laufe eines Sommers an zwei, drei oder mehr verschiedenen Angeboten teil. Einerseits fördert dies die individuellen Stärken, andererseits wechseln die Kinder regelmäßig ihr Umfeld, was nicht für alle Kinder sinnvoll ist.
Auch die Institutionen müssen entlastet und nicht mit zusätzlichen Aufgaben überhäuft werden. Kinder im Alter von 2,5 Jahren finden sich in der KiTa besser zurecht als im Kindergarten. Meist aus Kostengründen entscheiden sich die Eltern aber verständlicherweise für den Kindergartenbesuch ab 2,5 Jahren, wenn möglich. Bei verschiedenen Gelegenheiten wurde darauf hingewiesen, dass das System der Kleinkinderbetreuung aufgrund des rasanten Wachstums und steigendem Bedarf von Grund auf neu geregelt werden muss. Mittlerweile ist die Kleinkinderbetreuung keine Ausnahme mehr, sondern der reguläre Start eines Kindes im Südtiroler Bildungssystem. Daher ist es naheliegend, die Kleinkinderbetreuung in das Bildungssystem zu integrieren und ein stimmiges Konzept 0 – 14 zu entwickeln. Kindergärten und Schulen müssen sich auf ihre Bildungsangebote konzentrieren können. Ihre Aufgabe ist nicht die Betreuung, auch hier gilt es zukunftsträchtige Strategien zu finden, in Form von Kooperationen mit Vereinen oder Nachmittagsbetreuung durch Sozialgenossenschaften u. a.
Ein attraktives Bildungssystem ist auch ein wesentlicher Faktor für den Verbleib oder die Zuwanderung von spezialisierten Fachkräften.
Das Landesgesetz Nr. 5/2008 regelt die Südtiroler Bildungslandschaft für Kinder von 3 bis 14 Jahren. Die Kleinkinderbetreuung (0 – 3 Jahre) hingegen ist mit vielen Beschlüssen der Landesregierung detailliert geregelt und im Landesgesetz Nr. 8/2013 verankert, weshalb die Kleinkinderbetreuung immer mehr zu einem Flickenteppich verkommt. Es wäre an der Zeit, die diversen Beschlüsse zusammenzufassen, damit alle Beteiligten sich einen transparenten Überblick über die Betreuungsmöglichkeiten verschaffen können.
Dies vorausgeschickt verpflichtet der Südtiroler Landtag die Landesregierung,
- die Kleinkinderbetreuung übersichtlich zusammenzufassen und gesetzlich festzuschreiben.
- ein Südtiroler Bildungssystem von 0 bis 14 Jahren für die Bedürfnisse aller Beteiligten zu entwickeln und das entsprechende Landesgesetz dahingehend zu erweitern.